Der Gärprozess beim Fermentieren macht Lebensmittel gut verdaulich und lange haltbar. Eigentlich eine uralte Technik – doch heute wird sie wieder beliebter. Nicht nur, weil sie gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, sondern auch, weil sie ein Mittel gegen Lebensmittelverschwendung ist.
Wer kann sich nicht an irgendeine Tante erinnern, die „warte mal“ murmelte, in den Keller schlurfte und ein verstaubtes Glas aus dem hintersten Regal hervorkramte. Im Glas schwamm etwas Undefinierbares, auf den ersten Blick wenig Appetitanregendes.
Doch die Tante strahlte und sagte: „Lecker eingelegter Kohl, magst du?“ oder „Ein paar köstliche saure Gurken für dich“. Vielleicht auch: „Süß-sauer eingelegte Silberzwiebeln, komm probier mal!“ Dann drückte sie einem das Glas in die Hand und man fühlte sich genötigt, es mit nach Hause zu nehmen. Dort wanderte es in das hinterste Eck des Vorratsregals und fristete weiter ein missachtetes Dasein. Völlig zu Unrecht, wie immer mehr Menschen inzwischen erkennen.
Heute ist das Einlegen wieder Trend. In den Großstädten eröffnen hippe Kombucha-Läden, Asia-Restaurants werden nach der Qualität ihres Kimchis bewertet und man gibt sich Rezepte für leckere Tomaten-Jalapeño-Salsas weiter.
Auch wenn die Namen der Gerichte anderes vermuten lassen: Sie haben viel gemein mit den staubigen Tanten-Gläsern, denn all diese Lebensmittel sind fermentiert. Darunter versteht man unterschiedliche Prozesse, bei denen Mikroorganismen zur Konservierung, aber auch zur Vermehrung der in den Lebensmitteln enthaltenen Mikronährstoffe eingesetzt werden. Bakterien, Hefen und Pilze verstoffwechseln organische Stoffe in Gas, Säure und Alkohol. Dadurch verändern die Lebensmittel ihren Geschmack und ihre Textur.
Ihr kostenfreier Newsletter für ein gesünderes Leben
Jetzt unverbindlich anmelden und monatlich Gesundheitsthemen mit wertvollen Tipps erhalten und über exklusive BARMER-Services und -Neuigkeiten informiert werden.
Newsletter abonnieren
Fermentieren erlebt ein Revival
Schon die alten Ägypter backten Sauerteigbrot, die Babylonier stellten Käse her und Kimchi, also eingelegter, fermentierter Kohl, hat in Korea ebenfalls eine sehr lange Tradition. Und natürlich kannten auch unsere Großmütter und Großväter das Fermentationsverfahren. Mit der Zeit ist das Wissen in Vergessenheit geraten – können wir heute doch alles schnell und einfach im Supermarkt an der Ecke kaufen.
Langsam aber kommt das Bewusstsein zurück, dass diese Zubereitungsart vielleicht der Mühe wert ist und das Fermentieren ein echtes Revival verdient hat. Denn tatsächlich verändert es Obst, Gemüse, Milchprodukte in spannende Einweck-Gerichte. Fermentation macht Lebensmittel lange haltbar und außerdem besser verdaulich.
Auch Marcel Kruse und Geru Pulsinger, zwei junge Österreicher, haben die Küchen-Kunst wiederentdeckt und nennen sich mittlerweile die „Fermentation Ninjas“, weil ihr Fermentierungseifer vor nichts Halt macht: „Keine Rübe, keine Knolle, kein Kraut und kein Früchtchen auf dem Wochenmarkt war mehr sicher vor uns.“ Die beiden haben ein Buch über ihre Leidenschaft geschrieben. „Die Küche mutierte zum Fermentier-Labor, im Flur mussten Schuhregal und Kleiderschrank den neuen Lagerregalen weichen und der Keller war bald voll mit Gläsern, Gärkolben und noch mehr Gläsern.“
Nutzen Sie bis zu 200 Euro für Gesundheitskurse pro Jahr
Egal ob Bewegung, gesunde Ernährung oder Stressbewältigung: Finden Sie mit nur wenigen Klicks den für Sie passenden Gesundheitskurs –onlineoder vor Ort.
Barmer Gesundheitskurssuche
Was passiert beim Fermentieren?
„Wo Fermentation ist, da entsteht Leben“, so drücken es die Autoren aus. Auf vielen Lebensmitteln tummeln sich ganz natürlich Mikroorganismen – Bakterien, Pilze, Hefen –, die organische Stoffe umwandeln können. Diesen Prozess kann man anstoßen oder beschleunigen.
Bei einigen Lebensmitteln benötigt man eine Starter-Kultur, um die Fermentierung in Gang zu bringen. Die Bakterien, Pilze und Hefen beginnen unter günstigen Bedingungen, Einfach- und Vielfachzucker zu verstoffwechseln und sich dadurch zu vermehren. „Ihr Metabolismus ist optimal darauf programmiert, die vorhandenen Zucker in Säure, Gase und Alkohol zu spalten“, so Geru Pulsinger und Marcel Kruse. „Man könnte Fermentation genauso gut eine Veredelung von Nahrungsmitteln nennen.“
Bei der gezielten Gärung wird der pH-Wert der Lebensmittel absichtlich zugunsten eines alkalischen Milieus verändert, bei welchem sich die meisten Fäulnisbakterien weiter verbreiten – die dadurch entstehenden Substanzen (wie antimikrobielle Peptide, Milch- oder Essigsäuren und Alkohole) unterbinden das Wachstum von pathogenen – also krankmachenden – Keimen. So sind die Lebensmittel vor den Fäulnisbakterien geschützt und halten sich lange.
Welche fermentierten Lebensmittel gibt es?
Fast ein Drittel unserer alltäglichen Lebensmittel haben einen Fermentierungsprozess durchlaufen.
Milchprodukte wie Joghurt, Käse und Butter bestehen aus vergorener Milch, der noch weitere Milchsäurebakterien zugesetzt werden. Die Kakaobohnen für die Schokolade liegen einige Tage in der tropischen Sonne, um die Keimfähigkeit zu unterdrücken und die schokoladigen Aromen herauszukitzeln. Oliven sind in Salzlake eingelegt, um sie genießbar und haltbar zu machen. Durch den Gärprozess wird Hefe- und Sauerteigbrot erst richtig luftig und locker. Bier, Whiskey und Schnaps bekommen ihren Alkoholgehalt erst durch Hefepilze, denen die Stärke der Gerste als Nahrung dient. Auch Wein, Tee und Kaffee durchlaufen eine Art Fermentierung.
Welche Produkte eignen sich zum Fermentieren?
Dem Einweck-Gärprozess sind keine Grenzen gesetzt. Gemüse aller Art lässt sich gut einlegen und mit Mikroorganismen haltbar machen, zum Beispiel Kohl, Karotten, Rote Beete, Radieschen, Schalotten, Topinambur, Kürbis oder Gurken. Aber auch Obst aus dem Weckglas kann süß, sauer oder salzig schmecken: etwa Cranberrys, Äpfel, Pflaumen, marokkanische Salzzitronen oder Beeren. Gewürzsaucen wie Senf, Ajvar, Rote-Zwiebeln-Relish und Ketchup werden durch den Gärprozess schmackhafter. Leckere Milchprodukte wie Fruchtbutter, Frischkäse, Milchkefir und Mozzarella kann man ohne viele Vorkenntnisse selbst herstellen.
Warum ist Fermentieren so gesund?
Fermentiertes ist im Grunde das genaue Gegenteil von industriell hochverarbeiteten Produkten. „Alle fermentierten Lebensmittel verbindet eines: Die Mikroorganismen haben sie bereits „vorverdaut“, schreiben Marcel Kruse und Geru Pulsinger. Und zwar auf die gleiche Weise, wie Enzyme des Speichels und die Mikroorganismen im Mund die Lebensmittel bereits in der ersten Sekunde der Nahrungsaufnahme befallen und mit der Zersetzung in biochemische Bestandteile beginnen. Der Prozess wird dann im Magen weitergeführt.
In einer Studie wurden sieben fermentierte Produkte untersucht – es zeigte sich, dass sie alle eine normale Verdauung unterstützen, die Darmpassage verbesserten und Blähungen reduzierten. Daher fühlt man sich nach dem Essen von Fermentiertem auch nicht so müde wie nach dem Genuss von Käsespätzle oder Pasta mit Pilzrahmsoße.
Zudem produzieren die Mikroorganismen wertvolle „Abfallprodukte“ in Form von Enzymen und Vitaminen – die unserem Körper sehr zugute kommen. „Moderne Studien belegen für verschiedene Fermente das potenzierte Vorkommen von vielerlei gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffen: Vitamin A, B12 und C sowie von verschiedenen Enzymen und Eisen, Magnesium, Phosphor, Folsäure“, wissen die Kochbuchautoren.
Ein weiteres Plus: In selbstgemachten Fermenten lebt eine große Anzahl an Mikroorganismen und die wirkt sich positiv auf das Mikrobiom im Darm aus. Je nachdem, welche Nahrungsmittel man zu sich nimmt, gewinnen bestimmte Bakterienstämme die Oberhand im Darm.
Die in Fermenten produzierten Milch-, Essig- und Buttersäuren sorgen für ein saures Milieu, in dem Eindringlinge wie krankmachende Mikroorganismen nur schwer überleben. Ein gesundes Mikrobiom sorgt deshalb für ein starkes Immunsystem, steigert das körperliche Wohlbefinden und beeinflusst die Psyche positiv.
Selbstverständlich heißt "fermentiert" aber nicht unbedingt uneingeschränkt "gesund". Zum Beispiel sollten alkoholische Getränke wie Bier und Wein wenn überhaupt nur in Maßen getrunken werden.
Jetzt die individuelle Ernährungsberatung per App nutzen
Die App Oviva bietet BARMER-Versicherten ein kostenfreies Ernährungscoaching mit Kochrezepten, Ernährungstagebuch und persönlichem Ernährungscoach.
Zur Oviva-App
Tipps für den Einstieg: So klappt das Fermentieren
Die Fermentation ist keine Rocket-Science. Im Gegenteil: Man braucht dazu kaum Equipment. Am besten sammelt man ein paar Flaschen, Gläser und Töpfe, in denen man die Lebensmittel langfristig lagern kann. Auf keinen Fall sollten sie aus Plastik oder Metall sein, weil der Gärprozess eventuell Stoffe löst, die gesundheitsschädlich sein können. Ideale Materialien sind Glas und Keramik. „Unserer Ansicht nach sind die Gartöpfe aus Keramik aber unhandlich und haben vor allem einen entscheidenden Nachteil: Man hat keinen Einblick, was das Ferment gerade macht und was im Topf vor sich geht“, finden die Autoren. Man will ja sehen, was da blubbert, brodelt, gärt und zischt.
Außerdem müssen die Gläser gut abdichten, ideal ist deshalb ein Schraub- oder Bügelverschluss. „Wir empfehlen die Variante mit Bügelverschluss, da sie die bei der Fermentation entstehenden, überschüssigen Gase entweichen lässt, aber keine fremden Stoffe ins Glas hineinlässt.“ Glasgewichte, die es in verschiedenen Größen gibt, oder Untertassen beschweren das Gemüse und Obst, sodass es unter Wasser bleibt. Denn was herausragt, beginnt zu schimmeln.
Eine sterile Umgebung wie beim Konservieren braucht man aber nicht. „Am besten wäschst du dir deine Hände, bevor du loslegst, mit Wasser und milder Seife – oder wenn du es ganz ursprünglich magst, verzichtest du sogar auf die Seife“, so Marcel Kruse und Geru Pulsinger. Erdreste am Gemüse können einfach abgebürstet und mit Wasser abgewaschen werden. Die Fermentiergläser werden am besten einmal sterilisiert. Dafür die Gläser ein paar Minuten in kochendes Wasser legen und dann abkühlen lassen, bevor die Lebensmittel in die Gläser kommen.
Warum braucht es Salz zum Fermentieren?
Ohne Salz geht es nicht. „Bei der Fermentierung von Lebensmitteln fungiert es als Schützenhilfe für die von uns gewünschten Mikroorganismen. Kolibakterien, Kahmhefe und Schimmelpilze vertragen kein Salz und werden somit gleich eliminiert. So können z.B. Milchsäure- und Essigsäurebakterien ungestört mit der Fermentierung beginnen“, schreiben die Autoren.
Damit das Salz die empfindlichen Mikroorganismen und natürlichen Enzyme nicht stört oder gar tötet, muss es frei von Zusatzstoffen sein. Zu viel Salz sollte es auch nicht sein, denn das verlangsamt die Fermentation und die Lebensmittel bleiben härter. Gleichzeitig fördert Salz auch die Haltbarkeit, weshalb es ein gutes Gleichgewicht zwischen Über- und Unterdosierung braucht.
Welche Fermente gibt es?
Hefefermente wandeln die Kohlenhydrate der Lebensmittel in Alkohol um – das kennt man zum Beispiel aus der Herstellung von Bier. Dabei lässt der natürlich im gemälzten Getreide vorkommende Zucker aus den Hefen Bier entstehen. Bakterien namens Lactobacillus verwandeln Weißkohl in Sauerkraut (ein echtes heimisches Superfood). Beim Joghurt arbeitet zudem noch die Bakterienart Streptococcus thermophilus mit und wandelt die Lactose in Milchsäure um. Lactobacillus-Bakterien machen gemeinsame Sache mit der Hefe und aus dem Mehl wird Sauerteig. Kefirkörner enthalten viele unterschiedliche Bakterien und Hefen, sie sind verantwortlich für den Kefir. Der Kombuchapilz zaubert aus Tee und Zucker das erfrischende, fermentierte Getränk. Und schließlich sind da noch die Schimmelfermente, wie Penicillium, die den Blauschimmelkäse entstehen lassen.
Wo bekommt man Bakterien, Pilze und Co.?
Marcel Kruse und Geru Pulsinger geben einen Tipp, der an Hermann, den wandernden Hefeteig aus der Kindheit erinnert: „Frag in deinem Verwandten- und Bekanntenkreis nach. Bestimmt findet sich jemand, der Kefirkristalle, Kombucha-SCOBY´s – einen Teepilz – oder einen gut gepflegten Sauerteig hat. Solltest du nicht fündig werden, gibt es auf sozialen Medien unterschiedlichste Foren und Gruppen, in denen nicht nur Erfahrungen geteilt werden, sondern auch Kulturen.“ Das ist der beste Weg, um an Starterkulturen zu kommen, aber auch um sich auszutauschen.
Wie lagert man die Ferment-Gläser?
Anfangs müssen die Fermente noch bewegt und gerührt werden. Dann sollten sie an einem ruhigen, dunklen Ort stehen. Ideal ist der Keller oder die Speisekammer. Extrem entscheidend ist die richtige Temperatur: Einige Lebensmittel brauchen eine sehr gleichmäßige Temperatur und tolerieren keine Abweichungen, andere sind da etwas lockerer drauf. Milchprodukte und Saucen sollten zwischen 4 und 8 Grad Celsius lagern, Gemüse, Obst und Sauerkraut zwischen 8 und 22 Grad Celsius.
Verursachen fermentierte Lebensmittel nicht Blähungen?
Wer noch nicht an fermentierte Nahrung gewöhnt ist, sollte es langsam angehen lassen. Erst einmal kleine Portionen essen, einen Esslöffel Kimchi am Tag zum Beispiel. So gewöhnt sich der Magen-Darm-Trakt langsam an die Mikroorganismen in den fermentierten Produkten. Wer zu schnell zu viel isst, bekommt leicht Blähungen, die aber nach der Gewöhnungsphase schnell verschwinden – und auf Dauer können Flatulenzen sogar reduziert werden.
Warum ist Fermentieren so gut für die Umwelt?
Tatsächlich ist die Fermentation eine alte Technik, um Lebensmittel haltbar zu machen und sie so vor dem Verderben zu bewahren. Sie setzt ein Zeichen gegen Verschwendung, ist meist günstig und hilft dabei, sich einen tollen Vorrat an Lebensmitteln aufzubauen. Im Grunde ist sie „Slow Food“ – man nutzt Gemüse und Obst aus der Region und macht die Lebensmittel haltbar für Monate, in denen es die Produkte gerade nicht gibt. So kann man im Winter ein Glas mit fermentierter Wassermelone genießen. Das passt perfekt zu einer klimafreundlichen Ernährung.
CO2 beim Einkauf sparen mit dem Saisonkalender für regionales Gemüse und Obst
Was regional und saisonal angeboten wird, hat im Schnitt mehr Vitamine und verursacht weniger CO2. Mit dem kostenlosen Kalender behalten Sie jederzeit den Überblick.
Saisonkalender herunterladen
Muss ich Angst vor Botulismus haben und wann ist ein fermentiertes Lebensmittel verdorben?
Immer wieder hört man in Zusammenhang mit Konserven von einer scheinbaren Gefahr durch Botulismus: einer seltenen Lebensmittelvergiftung, die durch das Gift Botulinumtoxin hervorgerufen wird. Da Fermente bei Raumtemperatur reifen, haben manche Menschen Angst, dass durch die fehlende Kühlung giftige Stoffe entstehen könnten.
Da das Bakterium, das das Gift Botulinumtoxin produziert, aber keine Säure verträgt, kann es sich im sauren Milieu gar nicht ausbreiten – zum Beispiel in mit Salzlake fermentierten Lebensmittel, die einen pH-Wert von unter 4,2 haben und damit sauer sind. Sollte dennoch etwas mit einem Glas nicht stimmen, merkt man das sehr schnell. Denn es riecht unangenehm und schimmelt. In diesem Fall muss der Inhalt unbedingt weggeworfen werden. Vor allem bei Fisch und Fleisch ist Vorsicht geboten.